Was Physik, Klartext und gelungene Compliance-Kommunikation miteinander zu tun haben.

Was ist die Feynman-Technik?
Richard Feynman war nicht nur ein brillanter Physiker, sondern auch ein außergewöhnlich klarer Denker. Bekannt wurde er durch seine Fähigkeit, selbst komplizierteste physikalische Zusammenhänge so zu erklären, dass sie für alle verständlich waren – vom Erstsemester bis zur Reinigungskraft. Was ihn auszeichnete: radikale Klarheit.
Die nach ihm benannte Feynman-Technik ist eine Methode, um komplexe Inhalte nicht nur zu lernen, sondern so aufzubereiten, dass andere sie mühelos verstehen können. Sie besteht aus vier einfachen, aber wirkungsvollen Schritten:
- Wähle ein Thema
- Zum Beispiel: „Interessenkonflikte im Geschäftsalltag“ oder „Richtlinie zur Annahme von Geschenken“
- Erkläre es mit einfachen Worten
- Als würdest Du es einem 12-jährigen Kind erklären – ohne Jargon, ohne Fachbegriffe (Achtung: immer respektvoll! „Einfach“ heißt nicht „für Dumme“!)
- Stelle fest, wo Du ins Stocken gerätst
- Diese Stellen markieren Deine eigenen Wissenslücken oder unnötige Komplexität
- Überarbeite Deine Erklärung
- Klarheit heißt: verständlich, ohne zu vereinfachen – präzise, aber zugänglich
Die Feynman-Technik eignet sich für alle Fachgebiete – von Naturwissenschaften über Recht bis hin zu Management und Kommunikation. Ihr Ziel ist nicht Vereinfachung im Sinne von Vereinheitlichung, sondern Zugänglichkeit durch Klarheit.
Warum Kommunikation oft nicht ankommt
Die Methode zwingt dazu, Inhalte durch die Brille der Zielgruppe zu betrachten. Sie schärft nicht nur die Sprache, sondern auch das eigene Verständnis. Typische Veränderungen, die sich durch den Einsatz der Feynman-Technik ergeben:
- Reduktion von Fachbegriffen zugunsten klarer, alltagstauglicher Begriffe
- Strukturierung in logischer Reihenfolge statt chronologischer Aufzählungen
- Verwendung von Analogien und Beispielen, die im Alltag der Zielgruppe verankert sind
Dabei entstehen Texte, Präsentationen und Gespräche, die wirken – nicht weil sie weniger Inhalt transportieren, sondern weil sie den Inhalt verständlich machen.
Das ist kein Ausdruck von mangelndem Interesse (!), sondern ein Ergebnis von Überforderung. Die kognitive Verarbeitungskapazität ist begrenzt – besonders dann, wenn Sprache sperrig ist.
Warum die Methode so wirkungsvoll ist
Die Stärke der Feynman-Technik liegt darin, dass sie Verstehen mit Verständlichkeit verbindet. Wer sich selbst zwingt, ein Thema in einfachen Worten zu erklären, erkennt schnell, ob er es wirklich durchdrungen hat – und ob seine Ausdrucksweise geeignet ist, andere mitzunehmen.
In Kommunikationsberufen, in der Führung, im Bildungsbereich – und besonders in Compliance-Rollen – ist genau das entscheidend. Denn dort geht es oft um sensible, erklärungsbedürftige Inhalte, bei denen jedes Missverständnis Folgen haben kann.
Komplexität ist nicht das Problem – Unklarheit schon
In vielen Organisationen wird Komplexität mit Tiefe oder Seriosität verwechselt. Wer viel weiß, formuliert gerne lang und kompliziert. Doch Verständlichkeit ist kein Mangel an Tiefe, sondern ein Ausdruck von Verantwortung.
Typische Herausforderungen:
- Fachsprache wird nicht hinterfragt
- Begriffe wie „angemessene Maßnahme“, „interessengeleitete Entscheidung“ oder „Verhaltensrichtlinie“ wirken für Außenstehende oft diffus.
- Strukturen sind logisch, aber nicht erzählbar
- Wenn Dokumente juristisch korrekt, aber kommunikativ leer sind, bleiben sie ohne Wirkung.
- Texte sind überfrachtet
- Ein Satz enthält mehrere Gedankengänge – statt Klarheit entsteht Orientierungslosigkeit.
Die Feynman-Technik begegnet diesen Problemen nicht mit Reduktion, sondern mit Durchdringung:
Was will ich sagen – und wie bringe ich es so auf den Punkt, dass es bei meinem Gegenüber wirklich ankommt?
„Wenn du etwas nicht einfach erklären kannst, hast du es nicht gut genug verstanden.“
Richard P. Feynman (1918-1998), US-amerikanischer Physiker und Nobelpreisträger des Jahres 1965
Anwendung in der Praxis
Die Methode lässt sich auf nahezu alle Kommunikationsformate übertragen, z.B.:
Anwendungssituation | Nutzen der Feynman-Technik |
eMails an Führungskräfte | Klar strukturieren, Anliegen präzise benennen |
Präsentationen | Inhalte logisch aufbauen, verständlich moderieren |
Schulungsunterlagen | Sprachlich zugänglich, mit Beispielen statt nur Regeln |
Kommunikation an Mitarbeitende | Verständliche Handlungsanleitungen, klare Botschaften |
Sprechtexte, Reden, Videos | Reduktion auf das Wesentliche, authentische Sprache |
Fallbeispiel: Ein Compliance-Thema im Feynman-Test
Ein Unternehmen möchte seine Mitarbeitenden über ein neues Hinweisgebersystem informieren. Die ursprüngliche Fassung des Memos lautet:
„Im Rahmen der Einführung unseres internen Hinweisgebersystems möchten wir alle Beschäftigten darauf hinweisen, dass bei Verdachtsmomenten auf Compliance-Verstöße die Möglichkeit besteht, unter Wahrung der Vertraulichkeit entsprechende Hinweise über das digitale Meldeportal abzugeben.“
Nach Anwendung der Feynman-Technik entsteht:
„Wenn Dir im Arbeitsalltag etwas auffällt, das nicht in Ordnung ist – zum Beispiel Bestechung oder Diskriminierung –, kannst Du das melden. Dafür gibt es ein Portal im Intranet. Deine Meldung bleibt vertraulich.“
Kürzer. Klarer. Wirksamer.
Warum die Methode gerade in Compliance hilft
Compliance ist kein Selbstzweck. Sie will Orientierung schaffen, Vertrauen fördern und ethisches Verhalten im Alltag verankern. Doch viele Inhalte – von Richtlinien bis Risikoanalysen – sind in einer Sprache formuliert, die abschreckt.
Die Feynman-Technik hilft, diese Inhalte zugänglich zu machen, ohne sie zu trivialisieren:
- Regeln werden verständlich erklärt
- Mitarbeitende fühlen sich abgeholt, nicht kontrolliert
- Führungskräfte wissen, wie sie Inhalte weitergeben können
Vor allem aber zeigt sich: Wer verständlich kommuniziert, wird als glaubwürdig, kompetent und offen erlebt.
Verbindung mit anderen Methoden
Die Feynman-Technik ist kein Allheilmittel, aber ein idealer Ausgangspunkt – besonders in Kombination mit:
- Storytelling: Verknüpft Klartext mit Emotion, Kontext und Erinnerung
- Visualisierung: Komplizierte Inhalte werden über Diagramme, Bilder oder Metaphern greifbar
- Interaktiven Formaten: Das gemeinsame Erklären (z. B. in Schulungen) fördert Lernerfolg und Beteiligung
Fazit – Klarheit beginnt im Kopf
Die Feynman-Technik erinnert uns daran, dass Kommunikation mehr ist als das Senden von Informationen. Sie ist der Versuch, Verbindung herzustellen – zwischen Wissen und Handeln, zwischen Menschen und Systemen.
Verständlich zu erklären ist kein Stilmittel. Es ist eine Form von Respekt.
Und in Zeiten zunehmender Komplexität ist es vielleicht die wirkungsvollste Form von Führung.
Hier erfährst Du mehr über den Workshop Klartext sprechen mit der Feynman-Technik in der Compliance Journey Sommerakademie – und wie Du Deine Compliance-Kommunikation neu denken kannst.
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