Warum wir uns unserer Voreingenommenheiten bewusst werden sollten

Kennst Du „Kleiner Onkel“, das Pferd von Pippi Langstrumpf, diesem rothaarigen, mit Superkräften, Selbstbewusstsein und Herz gesegneten Mädchen? Pippi ist eine der Superheldinnen meiner Kindheit. Warum? Sie passt in kein Schema als Mädchen (1. Schublade: schutzbedürftig, schüchtern, etc.) mit roten Haaren und Sommersprossen (2./3. Schublade: sieht „anders“ = komisch aus), einem schwer zu merkenden Namen (4. Schublade: Kann sie nicht so heißen wie alle anderen auch?), Pferd und Affe als Hausgenossen (5. Schublade: exotisch) und wohlgemerkt Superkräften (die Schublade muss wohl noch erfunden werden). Sie bricht mit Stereotypen und macht durch ihren Lebensstil (den wir noch heute „unkonventionell“ nennen) unbewusste Voreingenommenheiten sichtbar. Und das heute genauso wie vor fast 80 Jahren, als der Text erstmals erschien!
Was sind nun diese unbewussten Voreingenommenheiten oder Verzerrungen? Und wenn Du Dich jetzt fragst, ob Du die auch hast, ganz klare Antwort: JA!!! Es gehört zum Menschsein dazu. Weil es das Leben einfacher macht: zack bewerten, zack rein in die Schublade, weiter geht’s. Im Englischen spricht man vom „bias“. Dieses Wort gibt es auch im Deutschen, fristet aber eher ein Mauerblümchen-Dasein. Also was soll das sein, ein B-I-A-S?
Definition
Der Anglizismus Bias (das) bedeutet auf Deutsch so viel wie Befangenheit, Neigung, Vorurteil. Wikipedia spricht von „…systematische fehlerhafte Neigungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen. Sie bleiben meist unbewusst und basieren auf …Vorurteilen.“
Kognitive Verzerrungen sind also Faktoren, die unsere tagtäglichen Entscheidungen vielfältig beeinflussen. Diese Faktoren und ihre Bedeutung in unserem Lebens bleiben in der Regel unbewusst. Im Unternehmenskontext wird auch bewusst damit gearbeitet, z.B. im Marketing. In anderen Bereichen können nicht reflektierte Voreingenommenheiten, z.B. bei der Bewerberauswahl oder im Führungsalltag zu diskriminierenden Entscheidungen, schlechter Unternehmenskultur bis hin zu Regelverstößen führen.
Unbewusste Voreingenommenheiten kommen daher, dass wir uns selbst als Menschen schützen wollen. Seit Beginn der Menschheit war es überlebenswichtig, in Bruchteilen einer Sekunde zu entscheiden: Bin ich mit der Person in Sicherheit? Wie wird sie auf mich reagieren? Wie werden wir kommunizieren? Das Unterbewusstsein trifft blitzschnell Entscheidungen auf Basis von vorselektierten Informationen, Lebenserfahrung und Annahmen. Dies kann kurzfristig helfen, langfristig aber schaden, nämlich dann, wenn unreflektierte Annahmen uns im Miteinander buchstäblich im Wege stehen.
Wenn Du eine Entscheidung triffst, gehst Du vermutlich davon aus, dass Du völlig unvoreingenommen und rational handelst. Gerade in Entscheidungssituationen wollen wir uns selbst positiv sehen. Denkst Du vielleicht: So etwas wie Vorurteile und Voreingenommenheiten, pauschale Beurteilungen von Personen und Situationen – das machen andere, aber doch nicht ich als gebildeter, reflektierter Mensch? Schubladendenken ist verpönt und begegnet uns doch tagtäglich, ja es lenkt sogar maßgeblich unser Leben.
Lass uns einige Beispiele anschauen:
- Der Bestätigungsfehler
Diese Verzerrung bezieht sich auf die Neigung des Menschen, lieber solche Informationen wahrzunehmen und als bedeutsam einzuordnen, die mit den eigenen Überzeugungen übereinstimmen. Dies liegt daran, dass wir uns in unseren Meinungen, aber auch bei Erinnerungen bestätigt sehen möchten. Dies führt dazu, dass wir eher bestehende Hypothesen bestätigen, als diese aufgrund von abweichenden Daten zu hinterfragen.
- Der IKEA-Effekt
Wenn Du selbst Zeit und Energie in ein Produkt steckst, bewertest Du dieses positiver. Dies hat sich der namensgebenden Möbelhändler dieses Effektes der Verhaltensökonomie par excellence zunutze gemacht. Die eigene Beteiligung an der Herstellung eines Objekts steigert den gefühlten Wert. Auch wenn Konsumenten einen Artikel teilweise mitgestalten können, kommt dieser Effekt zum Tragen.
- Der Mitläufer-Effekt
Viele Menschen lassen sich in ihren Entscheidungen von Vorbildern leiten. Auch bei Kaufentscheidungen wird man schnell zum Mitläufer, der das Produkt wählt, das viele andere auch gekauft haben. Diese kognitive Verzerrung betrifft Entscheidungen zu Einkäufen, Wahlverhalten bis hin zu starken Gruppendynamiken, die eventuell auch Regelverstöße decken.
Du ahnst es: die Liste der unterschiedlichen Voreingenommenheiten ist noch sehr viel länger. An dieser Stelle sei für Dich noch der Effekt mit dem schönen Namen „Fluch des Wissens“ genannt werden. Studien ergaben, dass je mehr Wissen man zu einem Thema erlangt, dies die Fähigkeit beeinträchtigen kann vorauszusagen, wieviel Wissen andere über das Thema haben. Dieses Phänomen kann sich nicht nur im universitären oder schulischen Umfeld, sondern auch in Unternehmen und Organisationen negativ auswirken.
Was kann ich also tun, um mich meiner unbewussten Voreingenommenheiten bewusst zu werden?
Überlege zunächst, wann Voreingenommenheiten am stärksten wirken, z.B. …
- … bei der Ideensammlung und -bewertung zur Konzeptentwicklung
- … bei der Entwicklung der Inhalte für eine Präsentation
- … bei der Bewerberauswahl und Entwicklung von Mitarbeitenden.
Im Kern haben Vorurteile ja auch einen Sinn. Nur wenn wir uns diese nicht bewusst machen, werden wir zu ihrem Spielball. Beginne bei Dir selbst und erkenne Deine eigenen Vorurteile an, indem Du ehrlich zu Dir selbst bist und Deine Entscheidungsprozesse überprüfst. Sich eine Fremdeinschätzung von einer vertrauten Person einzuholen, kann hier auch nicht schaden.
In der Gruppe solltest Du Deine Absichten laut aussprechen, um sie Deinem Unbewusstem bewusst zu machen und Entscheidungsfindung transparenter werden zu lassen. Schlussendlich ist es auch wichtig zu verstehen, dass unbewusste Voreingenommenheiten zum Leben dazugehören. Man sollte sie nicht negativ diskutieren.
„Bis man sich das Unbewusste bewusst macht, wird es Ihr Leben lenken und Sie werden es Schicksal nennen.“ (Carl Gustav Jung, 1875-1961, Schweizer Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie)
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