Zwischen den Stühlen? Warum Rollenklarheit mehr ist als ein Gefühl

Julia Bach

Was es bedeutet, eine Rolle mit Verantwortung – aber ohne Macht – zu tragen

Es gibt Rollen im Berufsleben, die auf keinem Organigramm wirklich sichtbar werden – und doch entscheidend sind.
Rollen, in denen Menschen Verantwortung übernehmen, ohne klare Entscheidungsgewalt.
Rollen, die oft viel Nähe zu anderen erfordern – und gleichzeitig Distanz verlangen.
Rollen, die vermitteln, balancieren, deeskalieren – und dabei kaum Rückendeckung haben.

Manche nennen das „Stabsstellenfunktion“.
Andere sprechen von „Beauftragten“ oder „Verantwortlichen“.
Aber die meisten, die sie ausfüllen, spüren einfach nur:
Ich sitze zwischen den Stühlen.

Die stille Last der Verantwortung ohne Macht

Wenn Du in einer Rolle arbeitest, in der Du Compliance, Ethik, Integrität, Menschenrechte, Gleichstellung, Hinweisgeberschutz oder Nachhaltigkeit vertreten sollst, dann kennst Du das vielleicht:

  • Du bist die Schnittstelle zwischen verschiedenen Interessen – und keine:r fühlt sich wirklich zuständig für Dich.
  • Du wirst gerufen, wenn etwas schiefläuft – aber selten gefragt, wenn Weichen gestellt werden.
  • Du sollst verbindlich sein – aber bitte nicht unbequem.
  • Du trägst Verantwortung – aber keine Entscheidungsmacht.

Diese Form der Verantwortung ist still.
Oft unsichtbar.
Und dadurch belastend…

..,weil Menschen in diesen Positionen oft sehr integer und wertebewusst sind und im Unternehmensalltag in das Dilemma zwischen „Werte-Wahrer:in“ und „Moralapostel“ gelangen – entweder durch eigene, unreflektierte Überzeugungen oder durch ihr Umfeld.

Rollenklarheit im Unternehmen ist kein Selbstläufer – sie braucht Dialog.

Die innere Zerrissenheit benennen

Viele Menschen, die in solchen Rollen arbeiten, spüren früher oder später ein diffuses Unwohlsein:

  • Sie wissen nicht genau, wofür sie stehen – und wofür nicht mehr.
  • Sie verlieren sich zwischen Erwartungen anderer – und dem Wunsch, es „gut zu machen“.
  • Sie geraten in typische Rollenfallen:
    • das Helfersyndrom, das zu Überforderung führt
    • der Good-Cop-Reflex, der Klarheit vermeidet
    • der Einzelkämpfermodus, der isoliert
    • Sie werden zu Träger:innen von Spannungen, die niemand offen benennt – aber alle irgendwie abladen.

Rollenklarheit entsteht nicht im stillen Kämmerlein – und auch nicht allein durch einen Jobtitel auf der Visitenkarte.
Sie entsteht im Dialog: mit der Geschäftsleitung, mit HR, mit den Schnittstellen, die täglich Erwartungen haben – oder enttäuscht sind, weil niemand sie geklärt hat.

Und sie entsteht durch klare Commitments von denen, für die diese Personen handeln: die Geschäftsführung und Vorstände, die Aufsichtsräte und Führungskräfte, die sich klar hinter diesen Personenkreis stellen sollte.

Nur wenn klar ist, wofür eine Rolle steht – und wofür nicht, können Aufgaben, Zuständigkeiten und Verantwortung sinnvoll verteilt werden.
Und nur dann entsteht die Sicherheit, die es braucht, um nicht dauernd zwischen Anspruch und Alltag zu taumeln.

Rollenklarheit heißt also nicht: „Ich weiß, wer ich bin.“
Sondern: „Alle wissen, was sie voneinander erwarten können – und was nicht.“

Das ist der Unterschied zwischen dauerhafter Überforderung und wirksamer Positionierung.

Warum Rollenklarheit im Unternehmen mehr als ein Rollenprofil ist

Rollenklarheit bedeutet:

  • Ich kenne meinen Auftrag.
    Ich weiß, was meine Rolle umfasst – und wo sie aufhört.
  • Ich erkenne meine Muster.
    Ich bemerke, wann ich in übermäßige Verantwortung rutsche – oder mich zu klein mache.
  • Ich sehe mein Umfeld.
    Ich weiß, wer welche Erwartungen, Macht und Einfluss hat – und wie ich mich dazu verhalte.
  • Ich kann kommunizieren.
    Ich finde Worte für Spannungen, Anforderungen und Grenzen – nach oben, nach unten, zur Seite.

Eine zentrale Frage verändert oft den Blick:

„Welche Brücken baue ich – und welche trage ich allein?“

Diese Frage macht sichtbar, wie oft wir mehr Last schultern, als zu unserer Rolle gehört.
Sie eröffnet auch den Raum, Verantwortung bewusst zu gestalten – statt sie nur zu tragen.

Nicht immer perfekt. Aber bewusster.

„Klarheit ist die Grundlage jeder Führung. Wenn Du selbst nicht klar bist, kannst Du auch keine Orientierung geben.“

patrick lencioni (*1965), us-amerikan. Manager und Unternehmensberater 

Der Weg zu mehr innerer Klarheit

Rollenklarheit entsteht nicht über Nacht. Aber sie beginnt mit einem einfachen Schritt:
Dem Innehalten. Sich hinsetzen und fragen:

  • Wer erwartet was von mir?
  • Was ist mein eigener Anspruch – und was übernehme ich, weil es niemand anderes tut?Wo bin ich in meiner Rolle gerade stark?
  • Wo verliere ich mich?
  • Was darf ich loslassen?
  • Welche Haltung will ich (wieder) stärken?

Diese Fragen sind kein Luxus. Sie sind Überlebensstrategie in komplexen Organisationen.
Und sie sind der Anfang von echter, wirksamer Selbstführung. Für mehr Widerstandskraft und Souveränität – und für mehr Freude in der eigenen Rolle!

Wer Rollenklarheit im Unternehmen schafft, legt die Grundlage für Vertrauen und Wirksamkeit

Ein stilles Plädoyer

Wer zwischen den Stühlen sitzt, braucht keinen neuen Stuhl.
Sondern Klarheit über den Raum, in dem er steht.
Und über die Verbindung, die er schafft.

Rollenklarheit ist kein Zeichen von Schwäche.
Sie ist Ausdruck von Verantwortung – sich selbst und anderen gegenüber.
Und sie ist die Voraussetzung für Dialog, Wirksamkeit und Vertrauen.

Wenn Du diese Gedanken mit anderen teilen willst, die ähnliche Spannungsfelder kennen, dann leite diesen Artikel weiter – oder komm mit mir ins Gespräch.
Denn: Wer Brücken bauen will, muss wissen, wo er steht.


Hier erfährst Du mehr über den Workshop „Meine Rolle als Brückenbauer:inin der Compliance Journey Sommerakademie – und wie Du Deine Compliance-Kommunikation neu denken kannst.

Über Julia Bach

Ich bin leidenschaftliche Kommunikatorin und Brückenbauerin.

Ich teile mein Wissen zu Kommunikation und Compliance, Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung, Führung und Kulturtransformation.

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